Wahrnehmung von Gefühlen und Strategien zur Selbstregulation
- Abenteuer_ Grundschule
- 28. März
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Apr.
"Kinder können sich heutzutage gar nicht mehr selbst regulieren!" Das ist ein Satz, den wir immer öfter hören.
Und ja, wenn man sich heutige Grund- und Förderschulklassen anschaut, ist es nicht zu übersehen, dass Lern- und Verhaltensauffälligkeiten zugenommen haben. Die Ursachen dafür mögen vielschichtig sein, sind zugleich aber auch noch viel zu wenig erforscht. Doch das ist im Schulalltag wohl nicht das größte Problem. Die wichtigste Frage ist einfach: Wie kann man die Schüler*innen bei einer positiven Entwicklung ihres Verhaltens unterstützen?
Grundvoraussetzung für einen sinnvollen Umgang mit eigenen Gefühlen und Herausforderungen, für die Entwicklung von Empathie und für Selbstregulation ist es, die eigenen Gefühle erst mal wahrzunehmen und zu benennen. Erst dann wird es überhaupt möglich, mit diesen zu arbeiten oder sie auch bei anderen wahrzunehmen.
Deshalb beginnt dieser Artikel mit Ideen zum Thematisieren von Gefühlen im Unterricht und antwortet dir dann auf diese 4 Fragen:
Wie kann man im Unterricht über Gefühle reden?
Wie kann man bei den Schüler*innen einen Perspektivwechsel anregen?
Wie können die Kinder Strategien zur Selbstregulation erlernen?
Wie kann man es den Kindern ermöglichen, an individuellen Zielvereinbarungen zu arbeiten?
Im Unterricht über Gefühle sprechen
Eine spielerische Idee, um im Unterricht über Gefühle zu sprechen, sind Erzählwürfel. Dafür bieten sich Einsteckwürfel an, in die Bildkarten eingesteckt werden können. Natürlich lassen sich auch herkömmliche Softwürfel mit den Karten bekleben.
Je nach Intention und Lerngruppe kannst du 6 Karten mit Gefühlen sowie Fragen dazu auswählen und einen Würfel damit gestalten. Dieser kann dann als Gesprächsanlass genutzt werden. Die Kinder würfeln reihum und erzählen zu ihrem gewürfelten Satzanfang, in welchen Situationen sie das entsprechende Gefühl wahrnehmen. In einer 2. Runde könnte man außerdem noch darauf zu sprechen kommen, wie sie mit den Gefühlen umgehen, also zum Beispiel: „Wie verhalte ich mich, wenn ich fröhlich bin? Was kann ich gegen die Wut in meinem Bauch tun? Was hilft mir, wenn ich traurig bin?“ Und letztendlich kann an einigen Stellen auch darüber gesprochen werden, welches Verhalten bei bestimmten Gefühlen in Ordnung ist, zum Beispiel: Ich darf mich etwas nicht trauen, wenn ich Angst habe – ich darf aber niemanden verletzten, wenn ich wütend bin, etc.
Diese Form des Austausches über Gefühle ist eine gute Möglichkeit, um in die Thematik einzusteigen. Indem du die Kinder ihre Vorerfahrungen verbalisieren lässt, kannst du sie dort abholen, wo sie stehen, und das Thema für sie relevant und somit interessant machen. Dabei sollte natürlich mit Fingerspitzengefühl vorgegangen werden. Vielleicht möchten nicht alle Kinder zu jedem Gefühl etwas erzählen. Das sollte dann auch in Ordnung sein.
Möchtest du keinen Erzählwürfel nutzen, kannst du die Karten auch einfach an die Tafel hängen und die Schüler*innen frei dazu erzählen lassen. Möglich wäre es außerdem, den Kindern zunächst die Zeit zu geben, sich in Partnerteams über die Karten auszutauschen. Auf diesem Weg kommen alle Kinder gleich zu Beginn zu Wort und sind dann schon auf das Gespräch im Plenum vorbereitet.
Empathie und Perspektivwechsel fördern
Die eigenen Gefühle wahrzunehmen und zu bennen, bedeutet allerdings noch nicht zwangsläufig, auch die Gefühle anderer einordnen oder sich gar in die Perspektive anderer hineinversetzen zu können. Einen Perspektivwechsel vorzunehmen braucht ein gewisses Maß an Empathie. Und dieses kann nicht wie selbstverständlich vorausgesetzt werden. Doch die gute Nachricht ist, dass das Hineinversetzen in andere Menschen geübt werden kann. Das lässt sich oftmals im gemeinsamen Miteinander anregen, indem die Kinder dazu angeregt werden, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Wir alle wenden dies ganz intuitiv an, wenn wir Kinder fragen: "Was meinst du, wie er sich dabei fühlt?" oder "Wie hättest du es denn gefunden, wenn...?" Möchte man im Unterricht zielgerichtet, den Wechsel in andere Perspektiven anleiten, bietet es sich oft an, passende Texte als Gesprächsanlass zu nehmen, zum Beispiel den Rätselspaziergang "Wie geht es uns denn heute?"
Der Rätselspaziergang kann gut genutzt werden, um zu entdecken, dass verschiedene Menschen in der gleichen Situation ganz unterschiedlich empfinden können. Wenn die Kinder versuchen, sich in die Figuren aus dem Text hineinzuversetzen, kann auch das Verstehen der Gefühle anderer damit angebahnt werden.
In der Rahmenerzählung hat Leas Klasse gerade Mittagspause und darf sich im Klassenzimmer frei beschäftigen. Eine Lehrerin fragt Lea: "Na, wie geht es euch?" Lea antwortet: "Gut!" Doch dann wird sie etwas nachdenklich. Geht es wirklich allen Kindern gut? Sie schaut sich in der Klasse um und stößt dann doch auch noch auf ganz andere Gefühle. Da fragt sie sich, wie es den Kindern denn nun geht.
Die Leser*innen können bei der Beantwortung der Frage helfen, indem sie die Leserätsel lösen und den Lösungssatz vervollständigen. Bei den Leserätseln müssen sie die Mimik und Gestik auf den Bildkarten den im Text geschilderten Gefühlen zuordnen und sich dabei in die einzelnen Figuren hineinversetzen. Am Ende fasst ihnen der Lösungssatz auch nochmal zusammen, dass wir alle auf unsere eigene Art empfinden. Auf einem weiteren Arbeitsblatt können die Kinder anschließend verbalisieren, wie die verschiedenen Figuren sich in der Situation gefühlt haben. Übrigens ist dieses Hineinversetzen zusätzlich auch noch ein guter Beitrag zur Leseförderung. Denn zur vollständigen Sinnentnahme von Erzähltexten müssen Leser*innen sich immer wieder in Figuren hineinversetzen.
Falls du noch nicht weißt, wie ein Rätselspaziergang genau im Unterricht eingesetzt werden kann, findest du dazu ausführliche Informationen in meinem Artikel über Lesespaziergänge. Denn vom Ablauf her funktionieren Rätselspaziergänge genau wie Lesespaziergänge.
Effektive Strategien für emotionale und kognitive Regulation im Klassenzimmer
Schüler*innen, die mit Wut, Konzentrationsproblemen, Aufmerksamkeitsstörungen, Angst, dem Klassenklima oder Konflikten zu kämpfen haben, sind auf Unterstützung angewiesen. Doch wie kann die Lehrkraft diese Kinder bei der emotionalen und kognitiven Regulation im Klassenzimmer unterstützen?
In unserer jahrelangen Berufserfahrung hat es sich bewährt, den Kindern Strategien an die Hand zu geben, mit denen sie sich selbst helfen lernen. Auf dem folgenden Foto siehst du doppelseitige Strategiekarten. Sie zeigen auf der einen Seite anschauliche Visualisierungen und auf der anderen leicht verständliche Erklärungen. Jede Strategie wird in zwei Versionen erklärt – eine speziell für die Schüler*innen und eine für die Erwachsenen, die mit dem Kind in Kontakt stehen. Zusätzlich gibt es Symbolkarten für die einzelnen Regulationsstrategien, die eine schnelle Orientierung ermöglichen und sich als Visualisierung individuell nutzen lassen.
Die Strategien enthalten Beruhigungstechniken, Konzentrationshilfen und Konfliktlösungsstrategien, die eine praxisnahe Unterstützung für die Förderung von Selbstregulation und einem positiven Lernumfeld bieten. Damit kannst du nicht nur einzelne Kinder in ihrer sozial-emotionalen Entwicklung fördern, sondern deine ganze Klasse dabei unterstützen, Resilienz zu stärken, soziale und emotionale Kompetenzen zu entwickeln und ein harmonisches Lernklima zu schaffen.
Die Strategiekarten lassen sich flexibel in den Unterricht integrieren und direkt in konkreten Situationen anwenden. Wenn ein Kind beispielsweise mit Wut kämpft oder sich nur schwer konzentrieren kann, können das Kind und die Lehrkaft gemeinsam, oder einzeln, eine Strategie auswählen und erproben. Neben der individuellen Unterstützung einzelner Kinder lassen sich die Karten auch in Klassenrunden oder Gruppenarbeiten einsetzen, um gemeinsam über den Umgang mit Emotionen und Konflikten zu reflektieren und Lösungsstrategien zu entwickeln. Durch die regelmäßige Nutzung dieser Strategien wird die Selbstregulation gestärkt, sozial-emotionale Kompetenzen gefördert und ein unterstützendes, harmonisches Lernklima geschaffen.
Individuelle Ziele für mehr Erfolg und bessere Verhaltenssteuerung
Nun bleibt nur noch die Frage, wie du die Schüler*innen dabei unterstützen kannst, ihr Verhalten langfristig zu verbessern, schulische Leistungen zu steigern und Regeln besser zu akzeptieren. Bestenfalls erhalten die Kinder auf ihrem Weg zu mehr Selbstregulation, Motivation und schulischem Erfolg Hilfen, mit denen sie selbst an ihrer Verhaltensentwicklung beteiligt werden. Denn für die nachhaltige Entwicklung von sozialen und kognitiven Kompetenzen ist es wichtig, dass die Kinder lernen, selbst (Mit-) Verantwortung für sich und ihr Verhalten zu übernehmen.
Hierzu bietet es sich an, individuelle Zielvereinbarungen mit den Schüler*innen zu formulieren, da die Kinder natürlich ganz verschieden sind. Durch klare und realistische Zielsetzungen erhalten sie eine gezielte Orientierung und Motivation für ihren schulischen Alltag. Auf dem folgenden Foto siehst du Beispiele für individuell formulierte Ziele, die mit den Kindern besprochen und umgesetzt werden können.
Für den Anfang kann es vielen Lernenden helfen, detaillierte Checklisten zu nutzen, die einzelne Schritte zur Zielerreichung konkret definieren. Dies ermöglicht eine klare Strukturierung und erleichtert die Umsetzung. Ebenso kann es Sinn machen, zunächst gezielt einzelne Unterziele aus den Checklisten zu fokussieren. Denn dadurch wird schrittweises Arbeiten und individuelle Förderung möglich.
Am Anfang jeder Woche wird mit den Kindern ein individuelles Wochenziel vereinbart. Am Tagesende findet eine Reflexion statt, bei der sich die Kinder zuerst selbst einschätzen und danach eine Rückmeldung der Lehrperson erhalten. Zum Start in die neue Woche überlegen die Schüler*innen gemeinsam mit der Lehrperson, ob das Ziel erreicht wurde und ein neues Ziel ausgewählt werden kann, oder ob das Ziel weiterhin bestehen bleibt.
Dieses Vorgehen erhöht die Selbstwahrnehmung und Selbstwirksamkeit der Schüler*innen. Das Erreichen der Ziele kann außerdem an ein Belohnungssystem für einzelne Kinder oder die Klasse geknüpft werden. Für das erfolgreiche Erreichen des Ziels können die Schüler*innen jeden Tag einen Punkt erhalten (individuell oder als Klassenpunkt). Die erreichten Punkte können im Anschluss gegen (gemeinsam abgesprochene) Belohnungen eingetauscht werden. Mögliche Belohnungen sind hier zum Beispiel ein gemeinsamer Waldausflug, eine Spielzeit, das Festlegen eines Aufwärmspiels im Sportunterricht, Hausaufgabengutscheine, Tablet-Zeiten etc. Aufgrund negativer Konsequenzen für das Klassenklima ist es allerdings nicht empfehlenswert, die Fortschritte einzelner Kinder öffentlich zu präsentieren.
Der Weg zu Empathie, Selbstregulation und Verhaltensoptimierung ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Gib den Kindern und auch dir nicht nur die nötige Zeit, sondern sei auch geduldig und feiere bereits kleine Erfolge.
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